Am Sonntag Nachmittag trafen wir zehn proMINat-Teilnehmer uns zum ersten Mal am Bahnhof in Jülich. Wir fuhren zusammen zum Haus Overbach, unserer idyllisch gelegenen, hochmodernen Unterkunft für die nächsten Tage. Während eines Spaziergangs und eines anschließenden Feierabendtrunks im Biergarten lernten wir uns kennen und besprachen das Programm für die kommende Woche. Am Montag ging es dann endlich zum ersten Mal in das Forschungszentrum. Wir erhielten zahlreiche interessante Informationen über das Forschungszentrum und die obligatorische Sicherheitseinweisung. Nach einer sehr informativen Rundfahrt über das Gelände des Forschungsinstituts lernten wir im Seecasino – das ist die Kantine des FZJ – endlich unsere Betreuer kennen.
Werner Hucko ist Biologielaborant am IMN, dem Institut für Neurowissenschaften
und Medizin. Das INM-10 beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen
Struktur und Funktion des Gehirns. Dass dort mit frischen Rattengehirnen
gearbeitet wird, wusste ich vorher nicht. Aber diese Überraschung konnte mich in
meiner Vorfreude nicht schockieren.
Der erste Nachmittag im IMN-10 verlief relativ unspektakulär. Gemeinsam mit
Anna, einer weiteren Praktikantin, erhielten ich eine kurze spezifische
Sicherheitseinweisung von Werner und lernte die Arbeitsbereiche kennen, die aus
verschiedenen Laboren und Büroräumen bestehen. Die Stimmung war klasse! Alle
Menschen waren freundlich und aufgeschlossen und darum bemüht, uns einen
möglichst tiefen Einblick in ihre Forschungsarbeit zu verschaffen.
Am Abend saßen alle proMINat-Praktikanten dann noch lange zusammen auf der
Terrasse des Hauses Overbach. Es ist ein erstaunliches Erlebnis, so viele
interessante Menschen auf einem Haufen zu erleben, die alle für
Naturwissenschaften brennen. Ich würde sie auch nach unserer Abreise
vermissen.
Den zweiten Tag verbrachte ich dann, gemeinsam mit Anna bei dem Physiker Chi
im Labor. Chi's Untersuchungen beziehen sich auf die Organisation und das
Zusammenspiel von verschiedenen Neuronentypen im primären
somatosensorischen Neocortex von Ratten. Dazu wendet er eine Methode an, die
man bereits im Unterricht zum Thema Neurobiologie kennenlernt: die Patch-
Clamp-Methode. Eine Besonderheit des primären somatosensorischen Neocortex
bei Ratten sind die sogenannten „Barrels“. Jede dieser fassartigen Strukturen ist
mit einem Schnurrhaar der Ratte verbunden. Das Verhältnis von Tastsinneszellen
zu den weiteführenden Ganglienzellen beträgt somit 1:1. Diese hochauflösende
Verschaltung bewirkt eine außerordentliche Empfindlichkeit und ermöglicht
denTieren einen sehr guten Orientierungssinn.
[Abbildung 1, Quelle: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0896627307007155]
Nun zum Ablauf unserer Versuchsreihe.
Um an lebenden Neuronen arbeiten zu können, muss das Gehirn frisch
entnommen werden. Die Ratte, die uns ins Labor geliefert wurde, war p18 (p für
post-natal), also 18 Tage alt. Ratten eignen sich sehr gut für diese Experimente,
da ihre Gehirne eine prozentual hohe Ähnlichkeit zum menschlichen Gehirn
aufweisen. Darüber hinaus stehen sie in der Rangfolge von ethisch-bedenklichen
Versuchen relativ weit unten, im Gegensatz zu zum Beispiel Affen. Werner
erzählte uns, dass jährlich ca 300 Ratten auf der INM-10 zu Forschungszwecken
getötet werden.
Ich persönlich stehe sehr im moralischen Zwiespalt, da ich
einerseits den großen Nutzen für die Forschung sehe, andererseits jedes
Lebewesen wertschätze und erhalten möchte. Chi's Argument in diesem Fall war,
dass die junge Ratte nur für diesen Zweck „generiert“ wurde und unter anderen
Umständen gar nicht am Leben wäre, was ich unkommentiert stehen lassen
werde.
Die Ratte wurde narkotisiert, so dass sie nichts von der Enthauptung spürte.
Danach öffnete Chi den Schädel der Ratte von hinten, um das Gehirn zu
entnehmen. Das Gehirn wurde in ca 320 Micrometer dünne Scheiben geschnitten
und in der sogenannten ACSF (Artificial Cerebrospinal Fluid) inkubiert.
Nach der Mittagspause begann dann die sogenannte Ableitung. Wir durften
beobachten, wie Chi nach lebendigen Interneuronen suchte und uns ganz
nebenbei auch noch diverse spezielle Nervenzellen und Strukturen am lebenden
Objekt zeigte. Jede noch so kleine Frage beantwortete er mit einer
unvergleichlichen Geduld, wodurch es mir möglich war, jeden Prozess und
Arbeitsschritt genau nachzuvollziehen.
Zwei verknüpfte Zellen wurden durch ihres „Spike pattern“ spezifiziert und mit
verschiedenen Methoden eingefärbt.
Ein Beispiel für solche zellspezifischen „Zackenmuster“, zeigt die folgende
Abbildung aus dem Paper „Morphology and Physiology of Exzitatory Neurons in
Layer 6b of the Somatosensory Rat Barrel Cortex“ von Prof. Dr. Dirk Feldmeyer,
dem Chef der Abteilung, den wir ebenfalls kurz kennenlernen durften:
[Abbildung 2]
Am Mittwoch sahen wir dabei zu, wie die Bachelorantin Valerie, die uns bereits seit
dem ersten Tag mit nützlichen Informationen fütterte, und Werner die Hirnschnitte
vom Vortrag mit verschiedenen primären Antikörperfärbungen bearbeiteten.
Danach hatten wir noch Gelegenheit, einen Abstecher in das INM-1 zu machen,
wo uns ausführlich das Human Brain Projekt erklärt wurde: ein sehr spannendesForschungsunternehmen, bei dem es darum geht, 3D-Atlanten verschiedener
menschlicher Gehirne zu erstellen. Mit vier weiteren proMINat Praktikanten durften
wir anschließend in den Keller, um dort zum ersten Mal ein Präparat eines
vollständigen, menschlichen Gehirns zu sehen, anzufassen und sogar in die Hand
zu nehmen. Aus Respekt gegenüber dem Verstorbenen möchte ich das Foto nicht
hinzufügen, aber dieses Erlebnis war eines meiner absoluten Highlights der
Woche.
Am Nachmittag gab es dann einen sehr spannenden Ethik-Vortrag über Neuro-
Enhancement mit anschließender Diskussionsrunde. Kaffee und Zucker sind zum
Glück die potentesten Mittel auf dem Markt, die man als Neuro-Enhancer werten
kann, wie ich jetzt aus sicherer Quelle weiß.
Donnerstag begannen Valerie und Werner mit der sekundären Antikörperfärbung
der durch Chi vorbereiteten Zellen. Außerdem erhielt ich kurze Einblicke in die
Arbeit von Ramya, einer Biotechnologin, die Ableitungen an Zellen des
präfrontalen Cortex durchführt und zudem mit Pharmaka direkt an den Zellen
arbeitet. Da sie gerade ein frisches Rattengehirn entnommen hatte, konnten wir
einen Rattenkörper mit Valerie sezieren.
Danach durfte ich mit vier anderen proMINat Praktikanten noch das INM-3,
kognitive Neurowissenschaften besuchen, wo wir Elektroenzephalografie (EEG)
und Transkranielle Magnestimulation (TMS) kennenlernten. Kurz gesagt: Messung
von Hirnströmen und Stimulation bestimmter Hirnareale durch magnetische Reize.
Unsere letzte Station war das Virtual Reality-Projekt. Dort durften wir sogar ein
bisschen mit einer VR-Brille zocken – alles im Interesse der Wissenschaft
natürlich!
Als wir später wieder in unser Institut zurückkehrten, konnten wir das Ergebnis der
Hirnschnittfärbungen sehen. Alles war bestens gelungen. Leider konnten wir den
Prozess der 3D-Modellierung der Neuronen nicht mehr aktiv miterleben. Allerdings
hatten wir bereits Valerie im Verlauf der Woche hin und wieder dabei beobachtet.
[Abbildung 3, Beispiel für eine fertige Antikörperfärbung. Quelle:
frontiersin.org/articles/10.3389/fnana.2012.00024]
Freitags besuchten wir noch zwei sehr wichtige und interessante
Kompetenzzentren im FZJ. Wir lernten PICO, eines der bestenElektronenmikroskope der Welt und die große Atmosphärensimulationskammer
SAPHIR.
Nach einer Abschlussrunde, bei der jeder noch einmal seine persönlichen
Erfahrungen und Erlebnisse Revue passieren ließ, gab es Kuchen und Kaffee,
während sich die Gruppe ganz langsam und eher ungewollt auflöste.
Mein Fazit:
Durch das proMINat-Schnupperpraktikum erhielt ich exklusive Einblicke in die
Grundlagenforschung der Neurowissenschaften, was meinen Wunsch, Medizin zu
studieren und mich auf den Bereich Neurologie zu spezialisieren, stärkte.
Aufbauend auf meinen Wissensstand aus dem Unterricht in Neurobiologie konnte
ich meinen Horizont erweitern und wünsche mir nun noch mehr zu erfahren und
tiefer in die Materie einzusteigen. Am liebsten hätte ich das Praktikum noch um
mehrere Wochen verlängert.
Ich bin unendlich dankbar für die grandiosen Menschen, die mir all die tollen
Einblicke ermöglichten. Dazu zählen meine Betreuer im Institut, die anderen
Praktikanten und auch das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes
NRW.
Ich hoffe sehr, dass ich irgendwann beruflich (oder zumindest für ein weiteres
Praktikum) in das FZJ zurückkehren kann, da ich die Mitarbeiter „meines“ Instituts,
die entspannte und gleichzeitig hochprofessionelle Atmosphäre sowie die
Forschungsprojekte dort bereits in mein Herz geschlossen habe.